Übersicht
Artikel

Interview: „Ein strategisch günstiger Standort“

Allgemein
29.01.2016

Eine Studie der Prognos AG zeigt, dass die Region Stuttgart mit dem Flughafen und dem neuen Verkehrsdrehkreuz durch den Ausbau der Infrastruktur in eine zentrale Lage an der so genannten Technologie-Achse-Süd rückt. Ein Gespräch mit Tobias Koch über die ökonomische Bedeutung dieses Korridors und die Standortvorteile des neuen Gewerbegebiets Stuttgart Airport City.

M15_0387_lowres.jpg

Herr Koch, Sie haben in einer Studie die ökonomische Bedeutung des Korridors von Karlsruhe über Stuttgart bis München und weiter in den Südosten untersucht. Wie lautet die zentrale Erkenntnis?

Tobias Koch: Dass sich entlang dieser süddeutschen Bahn- und Verkehrsachse bedeutende Technologiestandorte etabliert haben. Auf diesem Korridor, der ja zur transeuropäischen Magistrale Paris-Wien- Budapest gehört, bündeln sich Wirtschafts- und Innovationskraft in einem Ausmaß, wie kaum in einer anderen europäischen Region. Die Städte und Landkreise entlang der Technologie-Achse-Süd sind nicht nur durch gemeinsame Infrastruktur und Verkehrswege verbunden, sondern gerade durch ihre ökonomische Spitzenstellung in Deutschland und Europa.

Was genau umfasst der Begriff Technologie-Achse-Süd?

Tobias Koch: Gemeint ist damit der Raum zwischen Karlsruhe, Stuttgart, Ulm, Augsburg, München und dem Bayerischen Chemiedreieck. Der Raum ist überdurchschnittlich stark entwickelt und dabei extrem technologieorientiert, das zeigt die Studie eindeutig. Der Begriff Technologie-Achse Süd eignet sich daher hervorragend, um zum neuen Markenzeichen dieses Raums und zentralen Teil seines Selbstbildes zu werden.

Woran machen Sie das fest?

Tobias Koch: Dafür gibt es viele Indikatoren. Zunächst einmal leben in diesem hoch verdichteten Korridor 9,65 Millionen Menschen, das sind fast zwölf Prozent der Bevölkerung und mehr Einwohner, als ganz Österreich hat. Wir kommen auf 41 Städte und Landkreise, in denen 17 Prozent des Steueraufkommens und ein Siebtel der deutschen Bruttowertschöpfung erwirtschaftet wird. Auffallend ist dabei, dass insbesondere der Bereich Forschung und Entwicklung überproportional vertreten ist. Alleine in den Regionen Stuttgart und München arbeiten jeweils 40 000 Beschäftigte in diesem Bereich. In ganz Deutschland sind es 300 000. Genauso aussagekräftig sind andere Technologie- Indikatoren wie etwa der Prozentsatz an Ingenieuren oder IT- Spezialisten. Oder nehmen Sie die Patentzahlen. Fast ein Drittel aller bundesdeutschen Patente werden entlang dieser Achse angemeldet, also zweieinhalb mal so viele wie im bundesdeutschen Schnitt.

Wie wichtig ist der derzeitige Ausbau der Infrastruktur für die Zukunft dieser Technologie-Achse, Stichwort Bahnprojekt Stuttgart-Ulm?

Tobias Koch: Der neue Stuttgarter Bahnknoten, der Flughafenbahnhof und die Neubaustrecke nach Ulm sind ein enorm wichtiger und zentraler Bestandteil des dringend nötigen Ausbaus der Magistrale. Von der Fahrzeitverkürzung, die mit der Neubaustrecke verbunden ist, profitieren alle angebundenen Relationen. Das erhöht die Leistungsfähigkeit des Korridors. Die Städte rücken näher zusammen und auch enger an das süddeutsche Drehkreuz auf den Fildern mit Regionalverkehr, Fernverkehr, Autobahn und Flughafen. Aber auch einige andere Abschnitte müssen noch beschleunigt werden. Der ICE-Fernverkehr endet bisher irgendwo in Zuffenhausen. Ab dann bewegen wir uns auf der ehemaligen schwäbischen Eisenbahn.

Wie beurteilen Sie als Regionalökonom und Immobilienentwickler vor diesem Hintergrund die Lage des neuen Gewerbegebiets Stuttgart Airport City, das ja genau an besagtem Drehkreuz liegt?

Tobias Koch: Stuttgart wird mit der neuen Infrastruktur und der Anbindung an die Magistrale in eine zentralere Lage in Süddeutschland rücken als bisher München. Das bedeutet für ein Gewerbegebiet wie Stuttgart Airport City sich als attraktiver und idealer Business-Hub im Südwesten zu entwickeln. Durch die Verknüpfung von Flugverkehr, Autobahn sowie Fern- und Regionalverkehr in Verbindung mit einem Messe- und Kongressstandort wird die Attraktivität des Standortes für Geschäftskontakte erheblich aufgewertet und gesteigert. Von Frankfurt, Straßburg, Augsburg, München und Zürich ist der Stuttgart Airport-City in 60 bis 90 Minuten mit dem Fernverkehr der Bahn erreichbar.

Andere Studien besagen, dass die ganze Region von der Entwicklung profitieren wird. Sehen Sie das auch so?

Tobias Koch: Das ist absolut richtig. Es wird auf diesem Weg eine ganze Region gestärkt, die auf dem wirtschaftlichen Sektor schon auf sehr hohem Niveau liegt, aber immer noch sehr viel Entwicklungs- und Wachstumspotential hat und sich sektoral weiterentwickeln wird beziehungsweise muss. Auch das ist eine Erkenntnis unserer Studie.
Fast ein Viertel der Menschen, die innerhalb Deutschlands umziehen oder in die BRD einwandern, entscheiden sich für eine Stadt an der Technologie-Achse. Das ist ein klares Indiz, welche Dynamik, Anziehungskraft und Attraktivität diese Region für Arbeitskräfte hat.

Für welche Branchen ist ein Standort in dieser Lage ganz besonders attraktiv?

Es gibt wirtschaftliche Aktivitäten, die mehr als andere Branchen auf eine leistungsfähige Infrastruktur angewiesen sind. Dazu zählen etwa die Bereiche Forschung und Entwicklung, Ingenieurdienstleistungen sowie Beratung und unternehmensnahe Dienstleistungen, die einen wachsenden Austausch zwischen Unternehmen und Standorten erzeugen. Firmen wie Siemens in München und Bosch in Stuttgart werden mit ihren Entwicklungszentralen immer stärker zusammenarbeiten. Das gleiche gilt für die Wissenschaft, die sich immer stärker vernetzt, weil sich nicht jede Universität ein teures Spezialforschungslabor leisten kann. Mit den kürzeren Distanzen und schnelleren Reisezeiten wird es entlang der Achse Konzentrationsprozesse geben, auch in Richtung Schweiz und Frankreich. Dieser Effekt ist etwa bei IT-Fachkräften zu beobachten, die insbesondere in großen Entwicklungszentren wie Walldorf mit SAP oder München mit Microsoft zu finden sind, nicht aber auf die Fläche verteilt. Mit dem Ausbau der Infrastruktur wird ein enormer Auftrieb für die großen Zentren einhergehen.

Wer wird entlang des Korridors am meisten profitieren von der leistungsstärkeren Infrastruktur und den kürzen Reisezeiten?

Tobias Koch: Die Erfahrung zeigt, dass die großen Städte am meisten profitieren, in diesem Fall also München, Stuttgart und Karlsruhe. Das schließt aber nicht aus, dass kleinere Städte wie Ulm, Augsburg Tübingen und andere Orte, die größenmäßig in zweiter Reihe stehen, nicht auch gewaltige Entwicklungssprünge vollziehen werden. Gerade Ulm wird alleine schon wegen der besseren Anbindung an den Stuttgarter Flughafen enorm gewinnen. Die Stadt hat zwischenzeitlich einen klangvollen Namen als Wissenschaftsstandort, ist dabei aber nicht autonom, sondern in der Entwicklung von der Vernetzung abhängig.
Auch dabei wird wie gesagt das Thema Allianzen immer wichtiger, die Zusammenarbeit mit den Universitäten in Stuttgart, Tübingen und anderswo. Der ehemalige Präsident der Universität Ulm, Professor Joachim Ebeling, hat in diesem Zusammenhang unlängst das Acronym KASULAM geschaffen. Das steht für Karlsruhe, Stuttgart, Ulm, Augsburg, München und zeigt, in welche Richtung gedacht wird und wie unterschiedlich und vielfältig die Städte entlang der Achse von einer besseren Infrastruktur profitieren können.

Gibt es vergleichbare Technologie-Regionen wie die Achse zwischen Stuttgart und München?

Tobias Koch: In Deutschland nicht und auch in Europa ist die Konkurrenz nicht sehr groß. Baden-Württemberg wurde bei einem Vergleich aller Regionen in Europa auf den ersten Platz gesetzt. Direkt dahinter liegt Bayern mit seiner Landeshauptstadt München, dann erst folgen der Großraum Paris, Stockholm, Berlin und Mailand. Baden- Württemberg und Bayern sind der führende Technologieraum in Europa, das macht die Südachse ja so bedeutend und den Ausbau der Magistrale Paris-Bratislava so wichtig. Nicht zu vergessen ist die Schweiz, die wirtschaftlich eng mit Baden-Württemberg verbunden ist.

Sind Sie in der Praxis schon mal mit dem Zug von Paris nach Bratislava gefahren?

Tobias Koch: Es fährt wohl kaum jemand mit dem Zug von Paris nach Bratislava, für solche Distanzen gibt es Flugzeuge. Die Wirkung der verbesserten Verkehrsachse entfaltet sich vor allem auf Teilabschnitten, also zwischen Stuttgart und München, Ulm und Stuttgart, München und Karlsruhe. Es ist aber wichtig, dass es einheitliche Qualitätsstandards im Schienenverkehr gibt und dass diese auf dem gesamten Korridor erfüllt werden. Dazu kommt, dass immer mehr Unternehmen aus dem Ausland, etwa der Schweiz oder Frankreich, einen Firmensitz in Deutschland unterhalten und sich natürlich leistungsfähige und strategisch günstige Standorte dafür aussuchen. Eine gut ausgebaute Technologie-Achse hat dabei eine enorme Magnetwirkung.

INFOBOX

Zur Person:

Der Diplom-Ingenieur Tobias Koch (Jahrgang 1976) leitet das Stuttgarter Büro der Prognos AG. Als Regionalökonom ist er Experte auf dem Gebiet der Strategieentwicklung für Wirtschaftsstandorte, betriebliche Standortplanung und Immobilienentwicklung. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen insbesondere in der zukunftsorientierten Analyse regionaler Märkte sowie der Bewertung und Begleitung von Standort- und Investitionsentscheidungen.

Studie:

Die Prognos-Studie wurde in Auftrag gegeben von der IHK Schwaben und der Städtebund-Inn-Salzach GmbH. Als Projektpartner waren zudem die Landkreise Altötting und Mühldorf a. Inn sowie die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Burghausen mbH beteiligt. Untersucht wurde im Februar 2014 die ökonomische Bedeutung des bisherigen transeuropäischen Korridors von Karlsruhe über Stuttgart, Ulm, Augsburg, München und Mühldorf nach Freilassing. Im Untersuchungsraum, der in Baden-Württemberg und Bayern 41 Landkreise und kreisfreie Städte umfasst, leben 9,65 Millionen Menschen (knapp zwölf Prozent der Einwohner Deutschlands). Ergebnis der Analyse ist, dass der Korridor mit seiner Vielzahl an spezialisierten Leitbranchen und einer hohen Wertschöpfung zu den führenden Wirtschafts- und Exportregionen Deutschland gehört, der in hohem Maß zum bundesweiten Steueraufkommen beiträgt. Zudem verdeutlichen die Ergebnisse die herausragende und führende Stellung des Untersuchungsraums als Technologie- und Forschungsstandort.

Unternehmen:

Die Prognos AG mit Sitz in Basel berät seit 1959 Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in unterschiedlichen Zukunftsthemen, von den Bereichen Wirtschaft & Arbeit über Standort & Region, Gesellschaft & Staat bis zu Energie & Klimaschutz. Ein Schwerpunkt der Arbeit bildet der Themenkomplex Infrastruktur & Verkehr. So hat das Unternehmen, das Standorte in Stuttgart, Freiburg, München, Düsseldorf, Brüssel, Bremen und Berlin unterhält, in den vergangenen zehn Jahren alleine mehr als 200 Verkehrsanalysen, Prognosen und Infrastrukturberatungen durchgeführt. Zum Kundenkreis gehören Auftraggeber aus Politik und Verwaltung auf kommunaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene, aus Produktions-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen, aus der Transportwirtschaft, aus Verkehrsunternehmen, aus der Bauwirtschaft und dem Bankensektor.